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REHA-Wohnverbund


Konzept
des REHA-Vereins im stationären Wohnbereich


Konzeptionelle Grundorientierung


1.
Empirisch / theoretische Grundlagen
der Arbeit des REHA-Vereins


1.1.
Ursprung der Reformpsychiatrie:

Kritik an der Ineffektivität stationärer Einrichtungen

Die zentrale theoretische Grundlage der Arbeit des REHA-Vereins bildete von Beginn an der psychiatrie-kritische Ansatz der Reformpsychiatrie, insbesondere die organisations-soziologische, empirisch fundierte Grundsatzkritik von E. Goffman.

E. Goffman hat auf Grund umfangreicher empirischer Untersuchungen nachgewiesen, dass bei längeren Aufenthalten in den damaligen psychiatrischen und in anderen stationären Einrichtungen ( damals " Anstalten " genannt ) bei den damals sogenannten " Insassen " ein großer Misserfolg festzustellen war.

Dieser Misserfolg bestand darin,
dass diese Personen bei einer Entlassung nach kurzer Zeit wieder aufgenommen werden mussten, weil diese Personen nicht mehr im " normalen " Leben zurechtkamen ( Drehtürpsychiatrie ).

Goffman's Kritik besteht u. a. im
Nachweis, dass diese Institutionen bei längeren Aufenthalten in erster Linie
" in sich selbst hinein " sozialisieren ( i. S. e. Hospitalisierung ). 


Dies hat seinen Grund darin, dass im stationären Alltag andere Verhaltensregeln gelernt werden als jene, welche im normalen Alltag (zum Zurechtkommen in der Gesellschaft) gefordert werden.

Die Grundsatzkritik E. Gollman’s an der stationären Psychiatrie (bzw. den “Anstalten“) auf Grund umfangreicher empirischer Nachweise wurde u. a. zur Basis der Psychiatriereformen im internationalen Rahmen.

In Deutschland wurde sie in der Psychiatrie-Enquete 1975 wirksam u. a. mit der Forderung: - Abbau stationärer Klinikplätze, - Aufbau teilstationärer und ambulanter psychiatrischer Angebote  


1.2.
Kritik an der Psychiatrisierung bzw. " Kolonialisierung " von Lebenswelten

Neben dieser Kritik an der " Anstalts "- Psychiatrie wurde noch ein anderer Ansatz für die Arbeit des REHA-Vereins wichtig, nämlich die

Vermeidung einer
                          " Klinifizierung der Gesellschaft " bzw. einer " Psychiatrisierung von Lebenswelten ",

wie sie u.a. von J. Habermas vorgetragen wurde.

Gemeint ist damit ein Ansatz, bei dem auch außerhalb der stationären Kliniken (bzw. “Anstalten“) Institutionen geschaffen werden, deren Alltag vom stationären Denken und nicht vom " normalen " Alltagsdenken geprägt wird.
Auch hier werden dann im Alltag " klinische " Verhaltensregeln praktiziert und verinnerlicht, die anders sind als die für das Zurechtkommen in der " normalen " Gesellschaft erforderlichen Verhaltensregeln.

Die Alternative hierzu wären Bereiche, deren Alltag bereits von “ Normalität “ in möglichst hohem Maß geprägt ist. 

Das Problem der “ Psychiatrisierung “ bzw. “ Kolonialisierung “  von Lebenswelten besteht aber auch im ambulanten Bereich, wenn z.B. Patient/inn/en bzw. Klient/inn/en in eine Lebensweise hinein sozialisiert werden, in der sie ihre Rolle als Patient/in bzw. Klient/in als zentralen Punkt ihres Lebens zu betrachten lernen ( Thiersch / Rauschenberg 2017 ).


1.3.
Wirkfaktoren bei Psychotherapieerfolgen

Eine weitere Orientierung bieten die fundierten empirischen Untersuchungen von
K. Grawe
bezüglich der Effektivität psychotherapeutischer Verfahren.

Grawe hat sämtliche verfügbaren Forschungsergebnisse über die Therapieerfolge psychotherapeutischer Verfahren einer Metaanalyse unterzogen.

Dabei hat er herausgefunden, dass nicht bestimmte Schulen oder therapeutische Settings mit einem therapeutischen Erfolg korrelieren, sondern die Beachtung bestimmter Faktoren, die er als wesentliche Wirkfaktoren für einen Therapieerfolg herausgearbeitet hat.

Als wesentliche Wirkfaktoren benennt er die
- Tragfähigkeit der Beziehung
- motivationale Klärung
- konkrete Problembeschreibung
- Ressourcenaktivierung
- Problembewältigung

Die Pointe dieser Ergebnisse
besteht nun darin, dass man diese Wirkfaktoren betrachten kann als nicht nur wirksam in einem bestimmten Setting ( Therapiepraxis ), sondern auch als im " normalen " Alltag wirksam.


1.4.
Wirkfaktoren bei erfolgreicher Traumabewältigung

In die gleiche Richtung zielt der Ansatz der Salutogenese ( A. Antonovsky )

Auch Antonovsky hat anhand  empirischer Untersuchungen bei schwer traumatisierten Personen verschiedene Wirkfaktoren herausgearbeitet, auf Grund derer diese Personen in der Lage waren, trotz schwerer Traumatisierung ein weitgehend selbständiges und beschwerdefreies Leben zu führen.

Auch diese Ergebnisse führen dann zu der Frage, wie denn der Alltag für traumatisierte Personen gestaltet sein sollte, um eben diese Faktoren im Alltag zur Wirkung zu bringen.

In der aktuellen Fachdiskussion spiegeln sich diese Themen in Schlagworten wie
" Empowerment ", " Ressourcenorientierung ", " sense of coherence " usw. wider.

Weitere Wirkfaktoren für den normalen Alltag lassen sich z. B. auch aus dem empirischen Ergebnissen der Forschungen von

A. Bandura ( Konzepte der Selbstwirksamkeit: " Das schaffe ich " ) und
M. Seligman ( Konzepte bei erlernter Hilflosigkeit )
ableiten.

Die frühen und aktuellen empirischen Untersuchungen und theoretischen Werke, insbesondere die Auseinandersetzung mit der Rolle der Institution und ihren Strukturen, liefern also wertvolle Problemanalysemodelle und Praxishinweise für die Arbeit des REHA-Vereins, die sich zusammenfassen lassen unter dem

Motto für die Arbeit in den Einrichtungen:" Raum schaffen für die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Klient/inn/en " .

Darüber hinaus sind auch sozialpolitische Grundorientierungen für die Arbeit des REHA-Vereins wichtig.


2.
Sozialpolitische Orientierung

2.1.

Die UN Behindertenrechtskonvention ( UN - BRK ) 2008 zur Gleichberechtigung behinderter Menschen

Die oben skizzierten empirisch / theoretischen Ansätze stimmen in ihrer Zielrichtung mit den Forderungen der UN-Konvention überein.
Die in der UN-Konvention aufgestellte Forderung nach Gleichberechtigung und Teilhabe lässt sich in dem Grundsatz komprimieren:

Soviel Normalität wie möglich, sowenig Sondereinrichtung wie nötig.

Insofern sind die verschiedenen Bereiche ( Wohnen / Beschäftigung / Freizeit ) auch unter diesem Gesichtspunkt darauf hin zu bewerten, ob im Alltag das geforderte möglichst hohe Maß an
" Normalität " ( bzw. Selbständigkeit ) ermöglicht wird oder nicht, wobei
Einschränkungen dieser " Normalität " nur auf Grund individueller Problemlagen zu rechtfertigen sind.

2.2.
Das Grundlagenpapier des Sozialministeriums Stuttgart zur

" Dezentralisierung von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen " ( 2005 )

In diesem Grundlagenpapier, das u. a. auch von der Liga der freien Wohlfahrtspflege sowie vom Städtetagund vom Landkreistag mitverfasst wurde, werden wesentliche Forderungen aufgestellt, die allerdings vom REHA-Verein bereits seit 1989 so praktiziert werden.

Unter anderem:

" Arbeits- und Beschäftigungsplätze müssen gut erreichbar, aber getrennt vom Wohnen sein "
( S. 14, Pkt. 4.2.2 )

" Wichtig ist die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel "
Das Wohnen gehört " nicht auf die grüne Wiese " ( 4.2.2.a )

" Eine Konzentration von mehreren Wohneinrichtungen ( für behinderte Personen ) in
unmittelbarer Nachbarschaft bzw. auf angrenzenden Grundstücken ist zu vermeiden "
( 4.2.2.d )

" Die Verrichtung hauswirtschaftlicher Arbeiten ist grundsätzlich dezentral in den einzelnen
Wohngruppen und unter der Beteiligung der Bewohner zu organisieren.
Eine " zentrale hauswirtschaftliche Versorgung ist zu vermeiden " ( S. 15, Pkt. 3a )

Vom REHA-Verein wurden diese konzeptionellen Forderungen allerdings schon seit 1981 praktiziert.
Sie haben nach wie vor für die Arbeit des REHA-Vereins und somit auch für die konzeptionelle Planung ihre Gültigkeit.

2.3.
Die Sozial- und Arbeitsministerkonferenz ( ASMK )

hat am 16.09.2013 in ihrem Bericht zu einem Bundesleistungsgesetz weitere wichtige Orientierungspunkte gesetzt.

In Bezug auf die Konzeption des REHA-Vereins sind hier vor allem zu nennen:
- Flexibilisierung der ( stationären ) Einrichtungen.
- Wirkungskontrolle der Maßnahmen der Eingliederungshilfe.
- Sicherstellung einer neutralen ( ! ) Beratung seitens der Kommune.

Was die Flexibilisierung der Einrichtungen des REHA-Vereins betrifft, so wird auch diese seit Jahren bereits praktiziert und wird auch im vorgelegten Planungskonzept konkretisiert.

Auch der Ansatz einer Wirkungskontrolle der Maßnahmen findet bereits jetztschon eine Basis in der seit Jahrzehnten dokumentierten Entlassungsstatistik im Bereich des Wohnens.

2.4.
Im
Bundesteilhabegesetz ( BTHG ),

das zum 01. Januar 2017 in Kraft getreten ist, werden die Ansätze der UN-BR-Konvention und der ASMK zusammengeführt in der Forderung z. B. nach

- Flexibilisierung der Einrichtungen ( " De-Institutionalisierung " )
- Wirkungskontrolle ( Bedarfsgerechtigkeit ) der Maßnahmen
- Notwendigkeit einer neutralen Beratung

Diese Maßstäbe sind nun gesetzlich verpflichtend, wobei die gesetzlichen Vorgaben sowie deren Umsetzung sich am Maßstab der UN-Konvention zu messen haben:

" Der Deutsche Bundestag erwartet, dass die Verwaltungen das mit dem BTHG geschaffene Recht in
  jeder konkreten Rechtsanwendung stets im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen
  werden. " ( BT - DRS 18 / 10528 / 30.11.2016 ) .

Gleichzeitig ist mit dem BTHG in Bezug auf Teilhabe ein Paradigmenwechsel angesagt:

- weg vom medizinischen Modell: defizit-, krankheitsorientierte Sichtweise und damit
                                                             
- weg vom naturwissenschaftlichen Modell: objektbezogene " objektive " Betrachtungsweise  

- hin zum Teilhabemodell: ressourcen-, normalitätsorientierte Sichtweise, d. h.  
                                            gesellschaftswissenschaftliche, subjektbezogene Betrachtungsweise  
                                            und deshalb orientiert am Dialog.

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