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Chronik

 Emmendingen berichtet am 21. März 1990

In der Emmendinger REHA-Werkstatt finden viele wieder Anschluß ans Leben
über 50 Personen mit psychischen Problemen werden betreut - Mitarbeiter haben Mitspracherecht - Konkurrenz zur Caritas-Werkstatt

IN DER EMMENDINGER REHA-WERKSTATT finden Menschen mit psychischen Problemen Hilfe. Wichtig ist dabei, dass die Integration ins Arbeitsleben gelingt.

Emmendingen. Zwischen 55 und 65 Personen mit ernsten psychischen Problemen beschäftigt der Reha-Verein zum Aufbau sozialer Psychiatrie e.V. in seiner "Reha-Werkstatt" an der Emmendinger Karl-Friedrich-Straße. Der Verein mit Sitz in Freiburg ist an den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) angeschlossen.
Nach Norbert Klein-Alstedde, Diplom-Psychologe und Geschäftsleiter, bestehen die Ziele des Vereins darin, die Ausgrenzung von psychisch Kranken aus dem sozialen und beruflichen Bereich zu verhindern und entsprechenden Tendenzen entgegenzuwirken. Konkret soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, in bestimmten Arbeitsfeldern wieder Fuß zu fassen.
Die Mitarbeiter in der Reha-Werkstatt befinden sich entweder in Behandlung im Psychiatrischen Landeskrankenhaus in Emmendingen, oder sie leben in Wohngruppen oder selbständig. Die Tätigkeit der Menschen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren wird als eine Art von "Arbeitstraining" verstanden; sie soll jedoch nur Zwischenstation auf dem Weg zum "normalen" Berufsleben sein.
Dass das Konzept des Reha-Vereins auch aufgeht, verdeutlichen die Zahlen: Insgesamt konnten 1988 immerhin 30 Arbeiter in einen Beruf entlassen werden. Auch im vergangenen Jahr waren es - genaue Zahlen liegen noch nicht vor - ungefähr 30 erfolgreiche Arbeitsvermittlungen.
Volker Dürre, Sozialpädagoge und Leiter der Reha-Werkstatt in Emmendingen, bewertet diese Vermittlungen schon als "gewissen Erfolg" angesichts der schlechten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Volker Dürre, Elisabeth Wanram und Willie Herbie, ausgebildete Sozialpädagogen, betreuen gemeinsam mit fünf bis sechs  Zivildienstleistenden und einem Praktikanten die Werkstatt und die Tagesstätte. Dort werden hauptsächlich leichtere Arbeiten erledigt. Die Tagesstätte kann auch für Spiele in der Freizeit genutzt werden.
Aufgrund der geringen Personalstärke bleibt den Betreuern nur wenig Zeit für ausgedehnte psychologische Hilfestellung. Der Verein finanziert sich je zu einem Drittel aus der Produktion, dem Ladenverkauf und den Zuschüssen und Spenden. Das Arbeitsamt Emmendingen finanziert eine sogenannte ABM-(Arbeitsbeschaffungsmaßnahme-) Stelle, der Landkreis stellt dem Verein 10 000 Mark pro Jahr für die Werkstatt und die Wohngruppe zur Verfügung. Wie Diplom-Psychologe Klein-Alstedde bemerkte, müssen die drei Pädagogen "hauptsächlich, aus der Produktion finanziert werden", denn es fehle dem Verein an Zuschüssen. Der Landeswohlfahrtsverband habe den Antrag auf Anerkennung der Werkstatt als Werkstatt für Behinderte in Absprache mit Sozialdezernent Rombach abgelehnt, weil angeblich kein Bedarf bestehe.
Interessant und ungewöhnlich für einen produzierenden Betrieb ist die Organisationsform. Die monatlich etwa 50 beschäftigten Mitarbeiter haben ein ernstzunehmendes Mitspracherecht, ja sie halten den Betrieb durch ihre Mithilfe und mit ihren Entscheidungen aufrecht. Einmal in der Woche findet eine sogenannte Betriebsversammlung statt, bei der alle Mitarbeiter mitentscheiden. Die Strukturen werden somit maßgeblich von den Mitarbeitern geprägt. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn  es darum geht, neues Personal einzustellen.
Die neuen Mitarbeiter werden zu einer Probearbeitszeit eingestellt. Dann haben alle Entscheidungsbefugten das Recht, Eindrücke mit dem Betreffenden zu sammeln. Erst in einer Betriebsversammlung wird dann offen über eine Zusammenarbeit diskutiert. Bestehen maßgebliche Einwände, so werden diese ernstgenommen, wie Klein-Alstedde und Dürre  übereinstimmend feststellen. Allerdings komme es sehr selten vor, dass Klienten oder Mitarbeiter abgelehnt würden.
Mit diesem Konzept der bewussten Beteiligung soll eine bessere Identifikation mit dem Betrieb geschaffen werden. Eine größere Eigenverantwortung wird so erreicht, ebenso eine höhere Motivation. Jeder Arbeiter muss in der Reha-Werkstatt Emmendingen effektiv arbeiten. Das betrifft auch die Menschen mit "Defiziten", wie Volker Dürre sagt. Aufgebaut ist die Arbeit als Zuverdienst. Der Reha-Verein zum Aufbau sozialer Psychiatrie bezahlt eine Grundprämie an alle Mitarbeiter und einen Stücklohn. Die Grundprämie spiegelt die Solidarität zu den Kollegen wider; denn auch schwächere werden mitgezogen.
Diese Form, die sowohl solidarisches Handeln als auch den Wettbewerb umfasst, hat sich auch in diesem Betrieb bewährt. Allerdings darf jeder Mitarbeiter seine Leistungsziele in der Reha-Werkstatt selbst formulieren. Mit jedem einzelnen werden dabei die Ziele besprochen, die er sich gesteckt hat. Zusammen mit den Sozialpädagogen wird anschließend versucht, ein individuelles Arbeitsniveau zu bestimmen.
Der Umsatz aus der Produktion beläuft sich auf insgesamt 350 000 Mark. Der Betrieb verfügt über einen Schreinerbereich, eine eigene Produktion von Holzspielzeug, einen Bereich, in dem Entgratungsarbeiten vorgenommen werden, und eine Montageabteilung. Außerdem sind Verwaltung, Kantine und Transport ebenfalls Betriebsbereiche, die von Mitarbeitern getragen werden.
Obwohl die Eigenproduktion einen großen Stellenwert besitzt, werden auch Auftragsarbeiten aus der freien Wirtschaft sehr gerne angenommen. Der Bedarf an noch mehr Aufträgen aus der Wirtschaft ist eindeutig vorhanden. Vor allem wünschen sich die Reha-Leiter "Aufträge mit qualitativ noch höheren Ansprüchen". Insbesondere für Computer- und Elektronik-Montagearbeit seien die Kapazitäten noch nicht ausgelastet. Die Kontakte mit der freien Wirtschaft sind größtenteils gut und basieren auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, sagt Klein-Alstedde. Besonders das Verhältnis zur Firma Thieme (Teningen) komme seiner Idealvorstellung sehr nahe.
Auch die Zusammenarbeit mit den Firmen Upat (Emmendingen), Hummel (Waldkirch), Schmelzer (Nimburg) und der Frako (Teningen) seien gut, so Klein-Alstedde und Dürre; auch der Kontakt zum Psychiatrischen Landeskrankenhaus zeichne sich durch großes Vertrauen aus.
Der Reha-Laden an der Emmendinger Hebelstraße ist ein Projekt mit wirtschaftlichem und sozialem Aspekt. Hier arbeiten psychisch kranke Menschen und andere Mitarbeiter gemeinsam in einem Team.
Der Kontakt zur Außenwelt ist dabei sehr wichtig für die psychisch Kranken, um aus einer möglichen Isolation herauszutreten. Im Reha-Laden werden nicht nur eigene Produkte, sondern auch solche aus über 30 anderen sozialen Institutionen verkauft.
Die Probleme des Reha-Vereins  bestehen darin, dass die Werkstatt nicht voll ausgelastet ist. Die Quote liegt bei lediglich 80 Prozent. Dies ist nach Ansicht von Norbert Klein-Alstedde auch auf die geringen Löhne zurückzuführen, die gezahlt werden. Dies basiere aber wiederum auf der geringen Unterstützung des Landeswohlfahrtsverbandes.
Das grundlegende Problem, dem sich der Reha-Verein momentan gegenübersieht, ist die Planung einer neuen Caritas-Werkstatt des Freiburger Verbandes in nur wenigen hundert Metern Entfernung von der Reha-Werkstatt. Hier fürchten die Leiter um die Existenz und den Fortbestand des Projektes. Man sei überhaupt nicht gefragt worden, ob dieses Projekt überhaupt sinnvoll sei, berichtet Geschäftsleiter Klein-Alstedde, der den ruinösen Verdrängungswettbewerb beklagt.
Die prekäre Situation erklärt sich auch daraus, dass der Landeswohlfahrtsverband die 14 Personen, die in Wohngruppen leben, zum offiziell anerkannten Caritas-Projekt schicken würde, falls der Landeswohlfahrtsverband diese unterstützen würde. Er unterstützt die Wohngruppen aber nur dann, so Klein-Alstedde, wenn die Bewohner auch in der Caritas-Werkstatt mitarbeiten. Müsste der Reha-Verein aber auf 14 Personen verzichten, "so würde der Betrieb wohl geschlossen werden".
Klein-Alstedde fordert die Behörden zur Unterstützung ihres Projektes auf, denn die Probleme lägen nicht im wirtschaftlichen Bereich, sondern in einem "knallharten Verdrängungswettkampf" im Sozialbereich selbst begründet.
Text und Bild: Volker Huber