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Chronik

 berichtet am 13. Juni 1989

Wenn Menschen mit seelischen Schwierigkeiten sich nicht länger abschieben lassen wollen

Der Schwierige Weg weg vom Rand mitten ins Leben hineien

Seit einem Jahrzehnt bemüht sich der REHA-Verein in Freiburg, die Selbständigkeit psychisch kranker Frauen und Männer zu stäken

Die REHA-Ladenwerkstatt in der Schwarzwaldstraße 81 verwirklicht seit acht Jahren mit Erfolg einen anderen als den herkömmlichen Umgang mit seelisch kranken Menschen.

Wenn es denen, die von den Mehrheitsmenschen den Rand einer Gesellschaft als "Lebensraum" zugewiesen bekommen, nicht um Almosen zu tun ist, wenn sie vielmehr am Leben teilhaben wollen, dann wird's für sie problematisch. Frauen und Männer, deren Seele krank (gemacht) wurde, sind eine solche "Randgruppe". Sie mehr in den Mittelpunkt zu rücken, sie denen, die sich in der Mitte wähnen, gegenwärtig zu machen, bemüht sich seit nunmehr einem Jahrzehnt der Freiburger REHA-VereinAls hilfreich erweist sich dabei für Geschäftsführer Norbert Klein-Alstedde im Rückblick, dass das Ziel gleichsam zum Weg geworden ist: "Die Entwicklung des Vereins war immer nahe an den Bedürfnissen der Menschen und hat sich an ihnen orientiert". So entstand der Verein denn auch vor zehn Jahren aus der Erfahrung des gegenteiligen Konzepts, das psychisch Kranke wenig einfühlsam an die "Spielregeln" der Mehrheit anpassen wollte. Unzufrieden mit der Art der Arbeit im "Haus Vogelsang", machten sich ehemalige Mitarbeiter dieser Einrichtung 1979 selbständig und begannen mit dem Aufbau von Wohngruppen. Noch vor der Vereinsgründung allerdings scheiterte der Versuch, mit einem REHA-Laden zum ersten Mal in der Bundesrepublik Arbeitsplätze für psychisch Kranke zu schaffen; das Selbsthilfeprojekt musste nach wenigen Monaten aufgeben. Doch, meint Norbert Klein-Alstedde: "Es war eine wichtige Erfahrung." Auf dem Fundament des Misserfolgs wuchs nämlich in der Schwarzwaldstraße 81 die REHA-Ladenwerkstatt. Und die, freut sich der Psychologe, "hat sich so entwickelt, wie wir es uns vorstellen". Denn während normalerweise die sogenannten Klienten, einigermaßen selbständig geworden, eine REHA-Einrichtung wieder verlassen und etwas Neues beginnen müssen, verwirklicht der Freiburger REHA-Verein ein anderes Konzept: Nicht die seelisch kranken Menschen müssen gehen, sondern die Betreuer ziehen sich nach und nach zurück. So führt heute ein halbes Dutzend Frauen die Ladenwerkstatt eigenverantwortlich. Für Norbert Klein-Alstedde ein Beleg dafür, dass es auch anders geht als üblich. Zumal "diese Ideologie, alle psychisch Kranken arbeitsfähig zu machen, etwas Künstliches ist". Dementsprechend wurde auch die REHA-Werkstatt, seit 1986 in der Ekkebertstraße 30 zuhause, angelegt. Hier, wo Industriemontage und Metallverarbeitung sonst nirgendwo "gebrauchten" Menschen einen richtigen Verdienst bieten, ist die Arbeitszeit an die Möglichkeiten der Mitarbeiter angepasst. Und das hat nach den Beobachtungen des Sozialpädagogen Willi Herbi erstaunliche Auswirkungen. "Weil alle einen Bezug zu ihrer Arbeit haben, Mitverantwortung tragen und im wöchentlichen Werkstattgespräch zum Beispiel auch über Einstellungen mitentscheiden können, arbeiten sie sehr engagiert mit." Etwa 70 Menschen erleben so die Ekkebertstraße 30 als einen Ort, wo sie gebraucht werden, wo sie freiwillig arbeiten und sich auch weigern können. Manche von ihnen finden Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft, andere wollen gar nicht mehr dorthin, ziehen die Geborgenheit der an die Werkstatt angeschlossenen Tagesstätte mit ihren Arbeitsmöglichkeiten vor. Bedeutsam erscheint Norbert Klein-Alstedde dabei vor allem, dass die Menschen hier lernen können, ihren Alltag zu gestalten, mit der Zeit, die sie haben, umzugehen. "Immer wieder selbst entscheiden zu müssen, hilft ihnen, sich darüber klar zu werden, was sie wollen." Den Psychologen dänkt das der bessere Weg als der einer äußerlichen Anpassung zu sein. Denn: "Es bringt nichts, so zu tun, als ob sie draußen doch gebraucht würden." Als wichtiges Lernfeld, den Alltag zu gestalten, betrachtet der REHA-Verein deshalb auch seine fast vier Dutzend Wohngruppenplätze in Freiburg, Umkirch und Emmendingen. Wer in einer solchen Ãœbergangs-Wohngruppe wohnt, verpflichtet sich zum Beispiel, einer sinnvollen Arbeit nachzugehen.  "Die schönste Wohnung nämlich nützt nichts, wenn eine Strukturierung des Tages fehlt", weiß der Sozialpädagoge Arnold Gorenflo. So wichtig Arbeiten und Wohnen für Menschen mit seelischen Schwierigkeiten sind, so schwierig ist es für den REHA-Verein, beides dem Bedarf entsprechend anzubieten. Willi Herbi zum Beispiel klagt: "Es gibt nicht genügend Aufträge, die psychisch Kranken gerecht werden." Die nämlich können oft mehr und wollen mehr Abwechslung als etwa Mitarbeiter in Behindertenwerkstätten. Und Arnold Gorenflo stimmt in das Klagelied ein: "Es ist fast unmöglich, Zimmer zu finden." In seinen Augen gefährdet der Wohnungsmarkt geradezu den Ansatz, die Psychiatrie zu reformieren. Denn ohne Wohngruppen muss die psychiatrische Klinik den Menschen fast zwangsläufig zum Zuhause werden. Doch das wollen heute immer weniger der Verantwortlichen, die während des vergangenen Jahrzehnts gelernt haben, die Psychiatrie in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen. Besonders die jüngeren Ärzte haben vielfach die Psychiatrie-Klinik verinnerlicht, erkennen offene soziale Beziehungen als wichtig für den Heilungsprozess und setzen daher mehr auf Therapie als auf Psychopharmaka. "Eigentlich eine ganz erfreuliche Entwicklung", meint Norbert Klein-Alstedde. Um so schmerzlicher empfindet er die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der REHA-Verein konnte zum Beispiel im vergangenen Jahr lediglich 28 Frauen und Männer in seinen Wohngruppen neu aufnehmen - bei insgesamt 107 Anmeldungen. Da sie fast ausschließlich aus den Kliniken kamen, ist eine vorbeugende Betreuung in Wohngruppen vor einem Aufenthalt in der Psychiatrie kaum möglich." Kopfzerbrechen bereitet den REHA-Mitarbeitern überdies, dass ein großer Teil der Betreuung durch die Läden und Werkstätten finanziert werden muss. Norbert Klein-Alstedde: "Dadurch schaffen wir es nicht, mehr Arbeitsplätze mit einer Entlohnung anzubieten, die von der Sozialhilfe unabhängig macht". Um so unverständlicher ist ihm, dass die Stadt Freiburg - trotz der Unterstützung des REHA-Vereins durch das Sozial- und Jugendamt - bislang jedoch Bedarf in Sachen Wohnen und Arbeiten noch nicht bestätigt hat, der für die Ärzte im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Emmendingen längst offenkundig ist. Von dieser Bestätigung jedoch ist die Finanzierung einer weiteren Stelle durch den Landeswohlfahrtsverband (LWV) abhängig - eine Verstärkung, wie sie die gegenwärtig fünf hauptamtlichen Sozialpädagogen und Psychologen (von denen nur zwei über LWV-Zuschüsse abgesichert sind) für dringend notwendig halten.
So ist nach Ansicht des Psychologen während der vergangenen zehn Jahre in der Begleitung seelisch kranker Menschen zwar vieles selbstverständlich geworden, "wofür man früher kämpfen musste": die Konzepte der Wohngruppen, der Ladenwerkstätten, der Tagesstätten sind als notwendig anerkannt - "nur will es keiner finanzieren". Und wenn überhaupt Zuschüsse fließen, dann meist für "Betreuungsmodelle", die eigentlich dem Ziel widersprechen, sich als Betreuer zurückzuziehen, um die Selbstständigkeit psychisch Kranker zu stärken.
Diesem Ziel dient letztlich auch der Versuch des REHA-Vereins, Probleme von "Randgruppen" präsent zu machen. Deshalb eröffnete er vor fünf Jahren den REHA-Laden in der Gerberau mit der Absicht, ins Zentrum der Stadt vorzustoßen. Deshalb setzte er zusammen mit der Freiburger Arbeitsgemeinschaft "Miteinander leben" gegen heftigen Widerstand von Stadtverwaltung und Wirtschaftskreisen jenen Verkaufsstand in der Kaiser-Joseph-Straße durch, der - in der Tradition der Genossenschaften - Waren aus verschiedenen sozialen Einrichtungen feilbietet und zugleich informiert über die an den Rand Abgeschobenen.
Mehr Information nämlich ermöglicht auch mehr Verständnis. Zum Beispiel für die Situation von Menschen mit seelischen Schwierigkeiten, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes zugleich ihr Selbstwertgefühl verlieren. "Durch Arbeitslosigkeit fallen viele in ein Loch und werden psychisch krank", beobachtet Norbert Klein-Alstedde immer wieder. Und meistens sind es Menschen mit einer langen Leidensgeschichte: schon in früher Kindheit innerlich verletzt, weil die anderen sie in ihrer Eigenart nicht verstanden und sie in die Rolle des Außenseiters drängten - dorthin abschoben, wo sie sich heute als Erwachsene wiederfinden: am Rande einer Gesellschaft von Mehrheitsmenschen...
Von Redakteur Gerhard M. Kirk
Bild: Richter

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