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Chronik

 berichtet am 22. Juni 1989

Podiumsgespräch über die "Arbeitslosigkeit von Randgruppen"

Das Nichtstun als Ideal oder als schwere Hypothek?

Von Mitarbeiterin Anita Rüffer

"Rehabilitation", sagt Norbert Klein-Alstedde, Geschäftsführer des gerade zehn Jahre alt gewordenen Reha-Vereins, "meint nicht nur die Wiedereingliederung seelisch Kranker in die Gesellschaft, sondern bedeutet zugleich auch so etwas wie eine Wiedergutmachung". "Ihre Krankheit nämlich", betont Sozialamtsleiter Hans-Peter Mehl während eines Podiumsgesprächs zur 'Arbeitslosigkeit von Randgruppen', ist nicht von ihnen selbst verursacht". Gleichwohl beobachtet er, dass die Gesellschaft sich immer schwerer damit tut, den von ihr an den Rand Gedrängten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Und dazu zählen für ihn in erster Linie die Wohnung und der Arbeitsplatz.
Was aber geschieht mit jenen Minderheiten am Rande einer Gesellschaft, wenn deren Mehrheiten zunehmend glauben machen wollen, dieser Gesellschaft gehe die Arbeit aus? Eine Behauptung, die für Konrad Maier von der Evangelischen Fachhochschule nicht einmal von der Hand zu weisen ist angesichts des zunehmenden Einsatzes von Maschinen als Ersatz für die menschliche Arbeitskraft. Wer also einen Arbeitsplatz für sich beansprucht, der wird mit immer höheren Qualifikationen aufwarten müssen. Und diese "Höchstqualifikation" hält der Fachhochschulprofessor auch für dringend geboten, "um unsere sozialen und ökologischen Probleme lösen zu können". Nur durch zunehmende Rationalisierung könne eine Gesellschaft ihren Wohlstand sichern. Dass "viele dabei nicht mehr mitkommen", den hohen Anforderungen des Arbeitsmarktes an ihre Qualifikation nicht gewachsen sind, dessen ist sich Konrad Maier bewusst: "Für die größere Rationalität muss ein hoher sozialer Preis bezahlt werden."
Dennoch: Die Lösung des Problems kann für ihn nicht darin liegen, die Qualifikationsanforderungen zurückzuschrauben, denn "auf eine perfekte Produktion können wir nicht verzichten. Das käme einem Stillstand gleich". Und welchen Sinn es auch haben solle, alle Erwerbstätigen in Arbeit zu bringen, wenn diese Arbeit doch gar nicht notwendig sei? Für den gelernten Politologen ist es deshalb an der Zeit, über "das Nichtstun als Ideal" nachzudenken in einer Gesellschaft, die ihren Reichtum nicht länger über die Arbeit verteilen müsse. "Es besteht kein Zwang zur Arbeit. Diese Gesellschaft ist reich genug, diejenigen mitzuversorgen, die nicht arbeiten wollen."
Dass das in den Ohren von seelisch Behinderten zynisch klingen muss, merkt Konrad Maier selbst an. "Müßiggang ist doch nur für den möglich, der auch eine Arbeit hat", so die verzweifelte Klage einer Kranken, die ihre Chance für die Zukunft ohne Arbeitsplatz gleich Null einstuft. Oder die eines Vaters, der darauf hinweist, dass sein Sohn doch eben durch seine Krankheit daran gehindert wird, sich beruflich zu qualifizieren. "Er muss leben können von seiner Arbeit", so der Appell des Vaters. "Sozialhilfe kann für ihn doch keine Lösung sein!"
Hans Hoch vom Max-Planck-Institut für Strafrecht mag sich der These, dieser Gesellschaft gehe die Arbeit aus, denn auch nicht anschließen. Für ihn nämlich liegt dieser These eine sehr einseitige Arbeitsauffassung zugrunde, zugeschnitten auf die Herstellung von Produkten für eine reine "Konsumgesellschaft", der er allerdings mittlerweile gewisse "Sättigungstendenzen" bescheinigt. Er sieht darin den Endzustand einer jahrelangen Fehlentwicklung, die die sozialen, kulturellen und ökologischen Bedürfnisse einer Gesellschaft völlig aus den Augen verloren habe. Hier entdeckt er ein weites Betätigungsfeld, das auch Behinderten Chancen bieten könnte, wieder am Arbeitsleben teilzunehmen.
Als hilfreicher Einstieg könnte sich da eine der "Firmen für psychisch Kranke" erweisen. Sie wollen, wie Götz Graumann von der Bundesarbeitsgemeinschaft dieser Firmen erläutert, die Lücke schließen, die für viele seelisch Erkrankte zwischen dem Training in der Behindertenwerkstatt und der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt klafft.

Neue Wege, an den Rand Gedrängten "Arbeit statt Sozialhilfe" zu bieten, werden auch in Freiburg erprobt, etwa mit der Beschäftigungsgesellschaft oder dem von Konrad Maier über den Arbeitslosentreff "Goethe 2" initiierten Volontariatsjahr für Langzeitarbeitslose. Anfänglich subventionierte Arbeitsplätze sollen für Arbeitgeber ein Anstoß sein, Langzeitarbeitslosen die Chance auf einen Dauerarbeitsplatz zu bieten. Dabei ist für Hans-Peter Mehl klar: "Die Gesellschaft braucht einen langen Atem, um zu verhindern, dass subventionierte Arbeitsplätze für Arbeitslose zur bloßen Warteschleife werden, an deren Ende dann die erneute Arbeitslosigkeit steht." Für ihn gibt es freilich keine Alternativen zu diesem Weg, den er eher unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsförderung als sozial-caritativ beurteilt sehen will.

Götz Graumann schließlich sieht in solchen Initiativen "ein Instrument zur Umverteilung des Kuchens" (der industriellen Arbeit). Denn "nur so kann es gelingen, den von der Gesellschaft Benachteiligten die Teilhabe am Leben zu ermöglichen."

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