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Chronik

 berichtet am 12. April 1986

Verkaufsverbote und andere Absurditäten
Wie Selbsthilfe ins Hand-Werk gepfuscht wird
Freiburger Gruppen fordern Freiräume für Schwächere, um ihnen das Gefühl zu bewahren, etwas wert zu sein

In der Stuhlwerkstatt des REHA-Vereins versuchen Menschen, wieder auf eigenen Füßen stehen zu lernen.

"Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott", machten sich unsere Altvorderen Mut zu manchen schier unmöglich dänkenden Vorhaben. Was dann mit einem nimmermüden Aufschwung und mit einem fortschrittlichen Glauben an die Machbarkeit aller Dinge in Vergessenheit geriet - heute ist es unter dem Stichwort der Selbsthilfe längst wieder populär geworden. Vor allem Menschen, die in verräterischer Wortwahl "Randgruppen" genannt werden, fanden und finden sich in Gruppen zusammen, um sich dort selbst zu helfen, wo sie von niemandem sonst Hilfe erwarten können. Schließlich entdeckte vor zwei, drei Jahren selbst die Bundesregierung die Sparmöglichkeiten der Selbsthilfe und propagierte die Idee landauf landab. Vor Ort, also etwa in Freiburg, erleben die an den Rand Gedrängten jedoch immer wieder, dass ihnen Knüppel zwischen die ohnehin nicht so beweglichen Beine geworfen werden, wenn sie mit der Selbsthilfe ernst machen wollen.

Die Betroffenen jedenfalls zweifeln zunehmend daran, dass man es "von oben" mit dem Selbsthilfegedanken wirklich ernst meint. Denn Reden allein genügt nicht, hat Werner Kiefer von der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) erfahren: "Die Menschen müssen auch fähig gemacht werden, sich selbst zu helfen". Und so setzt Selbsthilfe notwendigerweise politische Entscheidungen voraus, die innerhalb einer Konkurrenzgesellschaft Freiräume für Schwächere schaffen. Solche Entscheidungen werden um so wichtiger angesichts einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen denen, die noch "mitkommen", und jenen, die aus verschiedenen Gründen nicht (mehr) mitmachen können.
Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre genügt es nach Werner Kiefers Überzeugung deshalb nicht, nur mit Geld in Form von Sozial- und Arbeitslosenhilfe helfen zu wollen. "Viele Menschen kommen dennoch nicht mit ihrem Leben zurecht." Da helfen dann nur noch persönliche Beziehungen. Dem stimmt auch Dieter Uhr zu. Er vertritt die Freiburger Arbeitsgemeinschaft "Miteinander Leben" (FAG), zu der sich inzwischen schon rund fünfzig soziale Gruppen und Einrichtungen zusammengetan haben. Nach Uhrs Kenntnissen ist es unabdingbar, dass zwei Dinge zusammenkommen: "Einmal muss die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen gestärkt, zum anderen muss die Verantwortung der Gesellschaft für die Schwächeren spürbar werden".
Gerade weil die Arbeitslosigkeit zunehmend zu einem psychosozialen Problem wird, versuchen mehrere Freiburger Selbsthilfegruppen, Menschen, die für eine Ellenbogengesellschaft zu schwach sind, mit neuen Arbeitsmöglichkeiten zugleich Chancen für neues Selbstbewusstsein zu schaffen. So bietet der "REHA-Verein zum Aufbau sozialer Psychiatrie" im Jahr mehr als 50 Frauen und Männern in Werkstätten und seinem Laden in der Gerberau die Gelegenheit, sich zu Sozialhilfe oder Rente hinzuzuverdienen.
Ein Großteil der Einnahmen des Vereins wird dabei durch Hand-Werk erarbeitet, dessen Ergebnisse bis vor zwei Jahren an Ständen in der Innenstadt feilgeboten wurden. Dann wurde zunächst vom Amt für öffentliche Ordnung diese Art der Selbsthilfe verboten, gemeinnützige soziale Einrichtungen durften nichts mehr an Ständen auf dem Rathausplatz verkaufen. Also wurden Holzarbeiten und geflochtene Stühle gegen eine Spende abgegeben. Doch inzwischen - nach Beschwerden von Einzelhändler - ist auch das untersagt. Für den REHA-Verein bedeutet das einen jährlichen Verlust in Höhe von mindestens 80 000 Mark.
Entsprechend groß ist die Empörung Norbert Klein-Alsteddes, des therapeutischen Leiters im REHA-Verein. "Unser kleiner Anfang war für die Betroffenen eine neue Möglichkeit, Selbstwertgefühl zu bekommen". Mit dem Verbot durch die städtische Verwaltung indes wird der Versuch, Menschen von Sozial- und Arbeitslosenhilfe unabhängig zu machen, zum Scheitern verurteil sein. Und so kommt es zu der absurder Situation, dass Stadt und Arbeitsamt "Ausgegrenzte" zwar bereitwillig mit Geld versorgen, aber offenbar nicht bereit sind, durch entsprechende Hilfen im Vorfeld Geld zu sparen.
Das Arbeitsamt könnte zum Beispiel mit Lohnkostenzuschüssen die Arbeitslosenhilfe sparen, heißt ein konkreter Vorschlag. Und die Stadt könnte, wenn sie das Verbot wieder zurücknimmt, jenen Freiraum schaffen, der es dem REHA-Verein und anderen Selbsthilfe-Einrichtungen eines Tages vielleicht ermöglicht, auch finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Weil das Ganze überdies kein Privatproblem des REHA-Vereins ist, sondern letztlich alle Selbsthilfegruppen in Freiburg angeht, haben jetzt FAG und PSAG in Briefen an die Stadträte und den Oberbürgermeister gefordert, das Verkaufsverbot für gemeinnützige soziale Einrichtungen auf dem Rathausplatz wieder aufzuheben.
Und wie Norbert Klein-Alstedde in der Angelegenheit vor allem ein Verteilungsproblem zwischen Starken und Schwachen sieht, hofft Dieter Uhr: "Es muss doch machbar sein, dass im Zentrum von Freiburg mit Hilfe der wirtschaftlich Starken Produkte von Schwachen verkauft werden können". Denn, ergänzt Werner Kiefer: "Wichtig ist das Gefühl, gebraucht zu werden, um sich selbst überhaupt engagieren zu können..."
Von Redakteur Gerhard M. Kirk
Bild: Richter

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