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Chronik

 berichtet am 6. August 1986

Bis jetzt wird ein Gerät höher als psychiatrische Arbeit eingestuft

Psychiatrie-Reform und PLK Emmendingen - Eine Podiumsdiskussion im SWF 3

Emmendingen (ah). Keinen leichten Stand hatte die baden-württembergische Sozialministerin Barbara Schäfer in einer am Mittwochabend veranstalteten Podiumsdiskussion, die vom dritten Fernsehen (SWF 3) live ausgestrahlt wurde. Die Teilnehmer der Diskussion saßen im Gesellschaftssaal des Psychiatrischen Landeskrankenhauses  (PLK) Emmendingen, und das Thema lautete "Die Psychiatrie-Reform".

Die ersten Einwände gegen ein Statement der Ministerin kamen vom ärztlichen Direktor des PLK Emmendingen, Dr. Harald Krzepinski. Frau Schäfer hatte auf Fragen des Moderators von Fortschritten an den psychiatrischen Fachkrankenhusern und von Personalstellenvermehrungen gesprochen, die es gegeben habe. Ja, erklärte Krzepinski, es seien Personalstellen vermehrt worden, aber nicht in ausreichendem Maße. Gleichzeitig wurde nämlich laut Krzepinski die Bettenzahl reduziert. Da die Kostenträger, also Krankenkassen und die Wohlfahrtsverbände, nur das belegte Bett bezahlen, gab es weniger Einnahmen. Das PLK, seit acht Jahren ein kaufmännisch geführter Betrieb, darf nicht mehr ausgeben, als er einnimmt. Gehen die Einnahmen zurück, muss man sparen - "und diese Sparmaßnahmen haben uns vor einem Jahr sehr hart getroffen". Hart getroffen wurde vor allem der Personalsektor, der 75 Prozent des Haushaltsvolumens eines Krankenhauses umfasst: Stellen mussten gesperrt, andere Ausgaben gestrichen, Bereitschaftsdienste durch Freizeit abgegolten werden. Insgesamt macht das seit April 1985 einen Mangel von fünf Ärzten aus.

Zu wenig Personal

Lassen sich in dieser Klinik (900 Patienten) psychisch Kranke so betreuen "dass man sie nach relativ kurzer Zeit wieder unbesorgt in die Gesellschaft entlassen kann? Krzepinski: "Wir sind nicht in der Lage, die Patienten den heutigen Anforderungen an eine moderne Psychiatrie entsprechend zu behandeln; dazu haben wir zu wenig ärztliches, psychologisches und auch Pflegepersonal."
Ein eingeblendeter Film schilderte, wie der Personalengpass Stationsärzte gleichzeitig zu Aufnahmeärzten macht. Auf 900 Patienten kommen derzeit 36 Ärzte, pro Arzt im Schnitt 25 Patienten. Ärzte berichteten, wie vieles angesichts der Überlastung unerledigt bleibt. Gerade auch der wichtige Rehabilitationsbereich weist offensichtlich personalbedingte Mängel auf. Immer wieder heißt es: "Wir können es uns nicht leisten."
Und was sagt dazu die Ministerin? "Ein Mehr an Stellen ist wünschenswert", erklärte Frau Schäfer. Wenn man zu mehr Stellen kommen wolle, dann müsse ein neuer Personalschlüssel zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Kassenseite ausgehandelt werden. Die Krankenkassen hätten es nicht leicht, mit ihren Einnahmen "herumzukommen". Deshalb werde es begrüßt, dass sich die Kassen zum ersten Mal in der Bundesrepublik hier in Baden-Württemberg im außerstationären Bereich engagierten. Frau Schäfer sprach die Hoffnung aus, dass vom außerstationären Bereich her einiges aufgefangen werden könne.
Krzepinski fürchtete, dass sich in absehbarer Zeit die Situation nicht ändern werde, und zwar "wegen des außerordentlich restriktiven Verhaltens der Kostenträger in den Pflegesatzverhandlungen". Das PLK Emmendingen ist, wie sein ärztlicher Direktor ausführte, dadurch benachteiligt, dass es, als es kaufmännischer Betrieb wurde, von sehr niedrigen Pflegesätzen ausging. "Wir haben immer nur den Prozentsatz dazubekommen, den auch andere Krankenhäuser bekommen haben, die natürlich einen viel höheren Ausgangspflegesatz hatten." Der derzeitige Pflegesatz fürs PLK beträgt 149,50 Mark im Behandlungsfallbereich; er reicht nicht aus, um die Kosten zu decken.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Daffinger, Psychiatriesprecher seiner Fraktion, sagte, für ihn beginne bereits an dieser Stelle die Ungleichbehandlung von psychisch Kranken und körperlich Kranken. Die Träger von Allgemeinkrankenhäusern deckten das Defizit ab; der Träger des Landeskrankenhauses, das Land, hingegen verlange eine kostendeckende Abrechnung. Das gehe, wie man sehe, auf Kosten des Personals mit Benachteiligung der Patienten und der Therapie.
In ihrer Antwort verwies die Ministerin darauf, dass das Budgetrecht beim Landtag liege, dessen Finanzausschuss sehr darauf aus sei, dass ein Zuschuss so niedrig wie möglich gehalten werde. Seit Jahren konzediere man ja einen Millionenzuschuss, der verschiedene Dinge und "im Ernstfall" auch ein solches Defizit abdecke. Doch führe dies nicht weiter - weiter führe ein verbesserter Personalstellenschlüssel. Frau Schäfer betonte, sie werde sich gerne dafür einsetzen, "dass dies möglichst bald gemacht wird". Daffinger machte darauf aufmerksam, dass "der Fall Emmendingen" in einem Antrag behandelt wurde und in dieser Gestalt in zwei Ausschüsse gelangte. Auch von Regierungsseite sei, sagte der Abgeordnete, zugesichert worden, dass die Einsparungen nicht auf Kosten der Therapie und der Patienten vorgenommen werden sollten. Er schlug der Ministerin vor, bei der Haushaltsberatung 1987/ 88 gemeinsam in dieser Richtung zu arbeiten. Frau Schäfer verwies zusätzlich auf kostensparende Baumaßnahmen (Küchenbau mit Einführung des Tablettsystems) in Emmendingen.
Ein Arzt des PLK untermauerte die Personalmisere mit der Bemerkung, dass bei der Größe des Krankenhauses etwa 60 Ärzte und 20 Psychologen hier arbeiten müssten; es gibt aber nur 36 Ärzte und drei Psychologen. Dass die Landesregierung jetzt sozialpsychiatrische Dienste außerhalb der Krankenhäuser einrichten will, begrüßte dieser Diskussionsteilnehmer, er äußerte aber die Sorge, dass von den 14 Millionen Mark, die das Land jetzt den Landeskrankenhäusern zuschießt, ein Betrag zur Unterstützung dieser sozialpsychiatrischen Dienste abgezweigt werde, was die Bedingungen an den PLK verschlechtern würde. Außerdem fragte er, ob psychiatrische Abteilungen an den Kreiskrankenhäusern, etwa im Lörracher Raum, im Ortenaukreis oder auch in Baden-Baden eingerichtet werden sollen. Die Sorge wegen einer möglichen Zuschussverminderung wurde von der Ministerin zerstreut. Es werde geprüft, so die Antwort auf die andere Frage, ob in Lörrach eine weitere psychiatrische Abteilung geschaffen werden soll.
Im weiteren Verlauf der Diskussion wurden auch Erfahrungen von Patienten und ihren Angehörigen wiedergegeben. Dass, wie Frau Schäfer hervorhob, viel in den Landeskrankenhäusern getan wurde, bestritt Krzepinski nicht, doch sei, sagte er, der Nachholbedarf in der Psychiatrie so groß gewesen, dass er immer noch nicht erfüllt sei. Die Akzeptanz, die Annahme der psychisch Kranken in der Gesellschaft, lasse zudem erheblich zu wünschen übrig, "und die Kostenträger sind bekanntlich ein Teil unserer Gesellschaft: "Solange die Kostenträger psychiatrische Arbeit nicht genau so honorierten wie einen Apparat oder ein Bestrahlungsgerät in einer somatischen Klinik, werde man das Ziel nicht erreichen. Für diese Ausführungen erhielt der PLK-Chef kräftigen Beifall "von den Rängen".

Nur schrittweise

Einig war man sich darin, dass die Fachkrankenhäuser ebenso wie die sozialpsychiatrischen Dienste ausgebaut werden müssten. Aufgrund der Kostensituation, so bedauerte allerdings die Ministerin, komme man nur schrittweise weiter. Als zu unkritisch und optimistisch empfanden viele anwesenden Mitarbeiter die Haltung Ulf Rößlers, des Leiters einer Projektgruppe, die mit der wissenschaftlichen Begleitung des Landesprogramms für Psychiatrie befasst ist. Daher gab es missbilligende Bemerkungen.
Man hörte dann viel von dem Modellprogramm, das jetzt ausläuft, und von den sozialpsychiatrischen Diensten. Geharnischte Kritik wurde auch in diesem Zusammenhang laut. Den Schluss bildete der Vorwurf, dass es für bestehende Helfer-Projekte auf neuen Wegen keine Gelder gebe. Die Konzeption der Landesregierung schien, wie Moderator Nebe anmerkte, "wahrlich umstritten" zu sein.