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Chronik

 berichtet am 14. Mai 1986

Arbeitsmöglichkeiten für "Problemgruppen"

Der Arbeitsmarkt lösst immer weniger Nischen

Dabei brauchen gerade psychisch Kranke, Jugendliche und Strafentlassene Chancen, sich arbeitend zu beweisen

Von Redakteur Gerhard M. Kirk

Ohne Arbeitsstelle zu sein, gehört heute für knapp 11000 Freiburger zur Wirklichkeit ihres Lebens. Und angesichts vielfältiger ergebnisloser Bemühungen um Arbeit wächst in ihnen das Gefühl, dass für sie offenbar kein Platz mehr ist in dieser Wohlstandsgesellschaft. Besonders Jugendliche und Behinderte plagt dieses Empfinden von Aussichtslosigkeit. Denn sie hatten vielfach erst gar keine Chance, sich arbeitend zu beweisen. Es war deshalb kein Zufall, dass der REHA-Verein zum Aufbau sozialer Psychiatrie die Eröffnung seiner Therapeutischen Tagesstätte in der Ekkebertstraße 30 mit einem
Gespräch über "Arbeitsmöglichkeiten für 'Problem'-Gruppen" verband.

Und da sieht es - trotz aller Anstrengungen - eher düster aus. Etwa für Menschen, die mitunter Schwierigkeiten mit sich und anderen haben. Für sie ist denn auch die neue Therapeutische Tagesstätte gedacht, die acht Arbeitsplätze bietet. Mit ihr versucht der REHA-Verein, den jeweiligen Fähigkeiten von Menschen entgegen zu kommen. In der Ekkebertstraße 30 nämlich sind drei Möglichkeiten des Arbeitens möglich: In der Tagesstätte wird bei der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie nach Stückzahl bezahlt; beim Arbeitstraining gibt es Vereinbarungen über zwei, vier oder fünf Stunden täglicher Arbeitszeit (Bezahlung: Prämie oder Leistungslohn); und im Produktionsbetrieb stehen feste Anstellungen mit 25, 30 oder 40 Stunden pro Woche zur Wahl, und zwar wird der Lohn unabhängig von Arbeitslosenhilfe beziehungsweise Sozialhilfe gezahlt.
Der Vorbereitung auf ein "normales" Arbeitsleben gelten auch die von der Freiburger Hilfsgemeinschaft für psychisch Kranke, Behinderte und Geföhrdete (FHG) mit der Handels- und Dienstleistungsgesellschaft eingerichteten Arbeitsplätze. In der Offset-Druckerei finden vier Menschen eine Anstellung, in der Serienproduktion und Industriearbeit können fünf weitere Männer und Frauen Geld verdienen. Denn wie der REHA-Verein ist auch die FHG überzeugt, dass ein Angebot an ambulanter Therapie nicht genügt, dass vielmehr zu einem menschenwürdigen Leben die Möglichkeit zu arbeiten gehört.
Besondere Bedingungen im allgemeinen Wirtschaftsleben sind dabei nach Ansicht Hermann Tränkles von der FHG keineswegs erforderlich. "Was wir aber brauchen, ist ein Ausgleich des Handicaps, um wettbewerbsf?hig zu sein." Und Norbert Klein-Alstedde vom REHA-Verein sieht durchaus auch Möglichkeiten einer Umverteilung: "Es wäre leicht, zum Beispiel Sozialhilfe als Lohnkostenzuschuss umzupolen." Schließlich solle jeder so viel verdienen, dass er selbstständig davon leben kann.
Unter diesem Gesichtspunkt bietet seit fast einem Jahr auch die Anlaufstelle für Strafentlassene in Freiburg ein Arbeitsprojekt an. Über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Arbeitsamtes wurden drei ehemalige Gefangene angestellt. Gerade sie nämlich sind ebenfalls dringend auf Arbeit angewiesen, weil sie unter der doppelten Belastung leiden, erstens aus dem "Knast" zu kommen und zweitens (eben deshalb) keine Arbeit zu finden. Gleichzeitig jedoch, erinnert Gerd-Dietmar Wohlgemut von der Anlaufstelle, brauchen sie Geld für eine Wohnung (Mietvorauszahlung, Kaution inbegriffen) und deren Einrichtung, für Prozesskosten und Wiedergutmachung, wofür die hundert Mark Arbeitslosengeld monatlich hinten und vorne nicht ausreichen.

ARBEITSPLÄTZE für sogenannte Problemgruppen wie auf unserem Bild in der neuen Therapeutischen Tagesstätte des REHA-Vereins sind nicht nur sehr gesucht, sie sind auch eine immer seltener werdende Mangelware.

Während die drei genannten Einrichtungen immerhin einige wenige Arbeitsplätze anbieten können, droht eine andere - fast einhellig als gut gelobte - Idee schon vor dem Start zu scheitern. Seit eineinhalb Jahren versucht der Verein Jugendwerkstatt, arbeitslose Mädchen im Schneiderhandwerk auszubilden. Trotz einer Empfehlung des Gemeinderats lehnte die Handwerkskammer dieses Vorhaben ab. Und die Industrie- und Handelskammer befürwortete zwar eine Stufenausbildung zur Schneiderin. Doch die "Stiftung Jugendmarke" rückte das für die Einrichtung der Lehrwerkstatt nötige Geld nicht heraus, weil eine entsprechende Stellungnahme des Stuttgarter Sozialministeriums ausblieb. "Trotz des dringenden Bedarfs für rund fünfzig Mädchen im Raum Freiburg", klagt Claudia Kühler, "befinden wir uns in einem Bedingungskreislauf, der nicht zu durchbrechen ist."

Und da ist es für manche nur ein schwacher Trost, wenn Norbert Klein-Alstedde an die Anfänge im REHA-Verein erinnert: "Wir haben einfach mal angefangen und gesehen, dass man etwas auf die Beine stellen kann." So entstanden vor fünf Jahren in Freiburg die erste Ladenwerkstatt und ein Jahr später in Emmendingen eine Therapeutische Tagesstätte, die mit einem arbeitslosen Sozialpädagogen und einem Kredit in Höhe von 5000 Mark begann - und heute zehn Arbeitsplätze bietet.

Auf Dauer freilich, darüber sind sich die verschiedenen Einrichtungen klar, wird es keine befriedigende Lösung sein können, nach Nischen zu suchen, um sich über Wasser zu halten. Denn angesichts der zunehmenden Rationalisierung werden bald auch jene Lücken geschlossen sein, wo sich Maschinen heute noch nicht lohnen und nur deshalb Menschen davon profitieren.

Bild: Richter

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