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Chronik


 berichtet am 23. Oktober 1986

Ein "Produktionsbetrieb" besonderer Art

Hier erarbeiten sich Menschen Ihre Arbeitsplätze selbst


In der Ekkebertstraße 30 versucht der REHA-Verein, "Problemgruppen" ein Hintertürchen zum Selbstwertgefühl durch Arbeit zu eröffnen.

Von Redakteur Gerhard M. Kirk

MIT MONTAGEARBEITEN verdienen sich vom freien Arbeitsmarkt Ausgesonderte nicht nur ein "Zubrot" zu Arbeitslosen- oder Sozialhilfe, sonder erarbeiten sich ihre Arbeitsplätze regelrecht selbs.

Angesichts einer sogenannten strukturellen Arbeitslosigkeit haben es Menschen aus "Problemgruppen" besonders schwer, einen Arbeitsplatz zugestanden zu bekommen. "Problemgruppen" - das sind Jugendliche, Frauen und Männer, die (weil eine "nicht normale" Minderheit) von der Gesellschaft (in ihrer "normalen" Mehrheit) als Problem angesehen werden oder deshalb ihrerseits mit der als "normal" betrachteten Gesellschaft ihre Probleme haben. Dazu gehören zum Beispiel ehemals psychisch Kranke und bisweilen Geföhrdete. Wie Behinderten aller Art sind auch ihnen die Zugänge zum freien Arbeitsmarkt nahezu vollständig verschlossen. Mit einem eigenen Konzept versucht deshalb der Freiburger Reha-Verein zum Aufbau sozialer Psychiatrie, in seinem "Produktionsbetrieb" Ekkebertstraße 30 ein Hintertürchen zu eröffnen.

Hintergrund dieses Versuchs ist die Beobachtung, dass Menschen aus "Problemgruppen" heute vielfach statt notwendiger Arbeitsplätze Therapie und Pädagogik geboten werden. Und da liegt für Norbert Klein-Alstedde vom Reha-Verein die Gefahr nahe, Arbeitslosigkeit nur noch "zu therapeutisieren und zu pädagogisieren": Probleme, die unmittelbar mit der Arbeitslosigkeit zusammenhängen, werden zwar pädagogisch oder therapeutisch überarbeitet"; die Ursache der Schwierigkeiten (kein Arbeitsplatz und damit Verlust des Selbstwertgefühls) bleibt aber unberücksichtigt. Aus der Erfahrung heraus, dass ein erarbeiteter Verdienst dem Selbstwertgefühl eher förderlich ist als die Erfahrung von Abhängigkeit und "Nutzlosigkeit" eines auf Sozial- oder Arbeitslosenhilfe Angewiesenen, bietet der Reha-Verein seit gut einem halben Jahr in der Ekkebertstraße 30 eigene Verdienstmöglichkeiten.
In diesem Produktionsbereich machen zur Zeit neun Männer und Frauen Montagearbeiten im Auftrag von Betrieben aus den Bereichen Kunststoff, Elektro und Metall. Wie lange sie sich diese Arbeit zutrauen, ist der freien Entscheidung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen überlassen. Sie können wählen zwischen 25, 30 und 40 Wochenstunden Arbeitszeit. Damit entscheiden sie zugleich darüber, wie hoch ihr "Zubrot" zur Arbeitslosen- oder Sozialhilfe ausfällt. Als Ziel schwebt dem Reha-Verein dabei vor, etwa 25 bis 30 Dauerarbeitsplätze zu schaffen, die nicht nur ehemals psychisch Kranke, sondern auch arbeitslose und ausländische Jugendliche, Dauerarbeitslose und andere Benachteiligte teilweise oder ganz von staatlicher oder städtischer Hilfe unabhängig machen sollen.
Sie alle sollen in diesem Produktionsbetrieb - und das ist das Besondere daran - Gelegenheit erhalten, sich selbst einen Dauerarbeitsplatz zu schaffen. Denn solche feste Stellen sind abhängig vom erwirtschafteten Gewinn des Betriebs, vom Einsatz der Mitarbeiter also. Und dass die "zuverlässig, termingerecht und flexibel" arbeiten, so Werkstattleiter Willi Herbi, wissen mittlerweile etliche Firmen zu schätzen. Manche von ihnen nämlich lagern heute schon ganze Produktionsbereiche aus, die für sie nicht mehr rentabel sind. Wenn diese Auslagerung Richtung Ekkebertstraße 30 verläuft, profitieren dann letztlich beide Seiten davon.
Der so erarbeitete Gewinn des Produktionsbetriebs ist gleichwohl nur die eine Schiene, auf der der Reha-Verein Anschluss ans Arbeitsleben zu bekommen versucht. Die andere Schiene, erklärt Norbert Klein-Alstedde, sind die Zuschüsse für das Unternehmen - etwa die auf ein halbes Jahr  begrenzte "Hilfe zur Arbeit" des städtischen Sozialamtes oder die "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" (ABM) des Arbeitsamtes, die gleichsam als Grundstock das Schaffen neuer Arbeitsplätze im Produktionsbetrieb ermöglichen. Beide Einrichtungen jedoch sind offenbar nicht in der Lage, den Reha-Verein aus seinem Dilemma zu befreien, dass die ABM-Stelle des Werkstattleiters im nächsten Frühjahr ausläuft.
Also wird jetzt nach einer Möglichkeit gesucht, den Werkstattleiter von anderer Seite bezahlen zu lassen, etwa vom Amt für Wirtschaftsförderung. Daran nämlich lässt das Konzept des Produktionsbetriebs keinen Zweifel: das Gehalt des Werkstattleiters (mit pädagogischer und handwerklich-kaufmännischer Ausbildung) soll unabhängig von den Einnahmen des Betriebs sein. "Nur so kann sich eine Steigerung der Produktion in höheren Löhnen für die Mitarbeiter niederschlagen, die ihrerseits nicht das Gefühl haben müssen, das Gehalt des Werkstattleiters mitzuerarbeiten. ?"Denn", erklärt Norbert Klein- Alstedde das System, "bei uns sollen die Stärkeren die Schwächeren unterstützen und nicht umgekehrt."
In diesem Zusammenhang kritisiert er auch eine von ihm beobachtete "Verschleierung des Verteilungskonflikts": Da werden zwar immer mehr Stellen für Berater von Arbeitslosen geschaffen, nicht aber Stellen für die Arbeitslosen selbst. "Uns geht es deshalb darum, dass das ohnehin eingesetzte Geld auch eine möglichst hohe Wirksamkeit erreicht." Und das ist nach Überzeugung des Reha-Vereins zweifellos dort der Fall, wo als Zuschüsse ausgegebenes Geld auf Dauer von Arbeitslosen- und Sozialhilfe unabhängig macht und damit langfristig Staat und Stadt stetig wiederkehrende Ausgaben erspart: in jenem Produktionsbetrieb Ekkebertstraße 30 zum Beispiel.

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